Montag, 26. September 2011

Indienreise, Teil 3: Ravi und der Boss

Wenn ich LSD nehme, werde ich oft sehr gutgläubig und leichtsinnig. Was ich ja beides nicht als schlechte Eigenschaften verpönen möchte. Doch unter Menschen, die diese Charakterzüge schamlos ausnutzen, kann einem das zum Verhängnis werden…
Werfen wir also unseren Blick wieder auf die Party am Strand von Goa, wo ich gerade ein paar nette Wortwechsel mit einem Inder habe, der wie ein Ägypter aussieht. Ich schiebe es auf die Frisur. Nachdem ich ihm ein Bier ausgegeben habe, zwingt er mich mit einem Lachen zum Tanzen: „You have to!“ Die Party nimmt ihren Lauf, mir kommen die paar Stunden bis Mitternacht sehr lange vor.
Irgendwann treffe ich dann auf den überaus freundlichen Ravi. An dieser Stelle muss ich anfügen: Ich bin eigentlich ganz gut darin, Menschen ihre Absichten anzusehen. Schwindler und Konsorten, dachte ich bis zu diesem Zeitpunkt, könnte ich meistens recht schnell erkennen. Doch es gibt Menschen, die Lügen dir das Blaue vom Himmel herunter und du hältst es für Indigoblau…
Ravi ist so nett zu mir! Und so interessiert. Nach den unschönen Erfahrungen mit den Taxifahrern denke ich, dass es in Indien wohl so ist, wie in Europa auch: Auf den Goa-Partys trifft man nette Menschen. Diese Musik bringt sie einfach alle zusammen.
Ravi fragt, wo ich her komme, was ich dort so mache. Ich erzähle ihm die Wahrheit: Ich habe keinen festen Job und wenig Geld, bin eher planlos und spontan und gerade am rumreisen. Doch selbst mit wenig Geld gilt man in Indien als reich! Immerhin kann man sich einen Flug aus und nach Europa leisten, was für die allermeisten Inder undenkbar ist.
Ravi erzählt von seiner „company“, bei der er angeblich sehr gut Geld verdiene. Sie zahlten ihm gute Hotels und Essen und alles, was man dafür machen müsse, sei, ein wenig gepflegt aufzutreten und gut Englisch zu sprechen. Ich werde neugierig. Darüber will ich mehr wissen! Ich bin überrascht, als er mir sagt, dass auch ich dort arbeiten könne, wenn ich wollte. Arbeitserlaubnis? Quatsch, „nooo, you dont need.“ Ich werde kein bisschen stutzig, sondern bekomme auf einmal Visionen von mir selbst in der nahen Zukunft, wie ich in guten Indischen Hotels gutes Essen verputze und ab und zu mit irgendjemandem gutes Englisch spreche. Ist Ravi ein Zauberkünstler, der mir diese Visionen einspeist, auf dass sie jegliche Form von Misstrauen von Grund auf lächerlich erscheinen lassen?
Die Party ist vorbei. Ravi möchte mich zum Essen einladen und ich könne dabei auch gleich seinen „Boss“ kennen lernen. Ja, warum nicht? Wir fahren mit dem Roller ins benachbarte Dorf. Ich betrete ein gewöhnliches Wohnhaus. Auf dem Boden sitzt ein halbglatziger, etwas dicklicher Mann, sicher 10 Jahre älter als ich und Ravi. Der Boss. Er freut sich, dass ich Interesse an dem Job habe. Nunja, ich bin neugierig, das stimmt, aber Ravi scheint ihm gesagt zu haben, dass ich den Job machen möchte. Das geht alles etwas schnell und ein wenig mehr tun als gut Englisch sprechen muss man doch sicherlich!? Ich lasse mich also aufklären.
Das ganze klingt jetzt weniger seriös und ich mache mir zum ersten Mal Gedanken, warum die Arbeitserlaubnis eigentlich nicht nötig ist. Folgendes wird mir erklärt: Die „company“ vertreibt Edelsteine aller Art. Sie sind seit 20 Jahren erfolgreich im Geschäft. Sie exportieren in die ganze Welt, vor allem nach Europa. Ein kleines Problem haben sie aber dabei und es schränkt sie ein, ihr Geschäft weiter auszubauen: Es darf angeblich nur eine gewisse Menge an Edelsteinen zollfrei exportiert werden. Danach fallen so hohe Zollgebühren an, dass sich das Geschäft kaum mehr lohnen würde. Sie möchten diese Gebühren also irgendwie umgehen. Klingt plausibel. An dieser Stelle kommen die Touristen ins Spiel. Jeder Tourist, fährt der Boss fort, darf eine gewisse Menge an Edelsteinen für den privaten Gebrauch, etwa als Geschenk, ausführen.
Ich verstehe das Konzept im Großen und Ganzen bereits hier, lasse den Boss aber ausreden:
Hilft man der company als Tourist, den Zoll zu umgehen, bekommt man eine sehr gute Provision von mehreren tausend Euro. Kurz und bündig: Man muss also nichts weiter tun, als ein Paket mit Steinen in sein Heimatland zu schicken und hinterher zu fliegen. Dort wird dann das Paket zusammen mit einem Mitarbeiter der company, der einen dort empfängt, ausgelöst, ihm werden die Steine gegeben und die Provision wird abkassiert.
Das klingt super unkompliziert und lohnenswert. Ich frage mich aber, wo die bezahlten Hotels und das gute Essen abgeblieben sind. In diesem Moment stellt „Vicky“, die vierte anwesende Person, mehrere Schalen mit lecker duftendem Chickencurry, Reis und verschieden farbigen Soßen zu uns auf den Boden. Wir Essen zu viert, um eine Decke mit dem Essen kniend. Sie bringen mir bei, Indisch zu essen, nachdem sie mich eine Weile erfolglos nach Besteck ausschau halten sehen: Man reißt sich ein Stück Chapati (Fladenbrot) ab, greift damit den Reis und tunkt in die Soßen. Zunächst gewöhnungsbedürftig.
Der Boss hat bemerkt, wie berauscht ich bin und sie bieten mir ein Zimmer ihrer Wohnung an, wo ich mich erstmal ausruhen und alles nochmal überschlafen soll. Ja, das habe ich nötig, denn den Ortswechsel von der Goa-Party am Strand in dieses Haus zu den gastfreundlichen Geschäftsmännern habe ich noch nicht ganz nachvollzogen. Ich lasse mich ins Schlafzimmer führen, wundere mich noch kurz, wie schnell man in eine neue Sache verwickelt sein kann, stelle dann aber bald die Gedanken ab und falle in einen tiefen Schlaf.

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