Dienstag, 6. März 2012

Indienreise, Teil 9 - Man kann sich nicht immer freun

Ich habe nach wenigen Tagen in Hampi eine Unterkunft bezogen, mit der ich völlig zufrieden bin; ein nettes Restaurant gibt es und Hängematten, von denen aus man kiffend dem Fluss zuschauen kann, wie er sein Wasser elegant auf Reisen schickt. Abends und Morgens kommt der Dorf-Elefant in menschlicher Begleitung an den Fluss geschlendert und wird dann dort gewaschen. Durchaus sehenswert!
Es ist ein heisser, wolkenfreier Nachmittag, als ich mich entschließe, mir die Ruinen nun mal anschauen zu gehen. Eigentlich bin ich ja gar nicht so der Sightseeing-Typ. Was mich antreibt, auf so eine typische Touri-Tour zu gehen, ist fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Das Gefühl, die Gegend richtig kennen lernen zu müssen. Ich kann doch schließlich nicht einfach wieder gehen, ohne "was" gesehen zu haben. Also geh ich eben los und schau mir was an...
Naiv von mir zu glauben, ich könnte - wonach mir durchaus der Sinn stand - alleine auf Tour gehen. In Indien ist man nur selten allein. Nur schade, dass es dabei, wie schonmal erwähnt, nur selten um wirkliche Gastfreundschaft geht. Ich schaffe es, einen Tempel alleine zu besichtigen und dabei entsteht in mir eine leichte, kindliche Freude, denn ich versetze mich in die Vergangenheit, stelle mir vor, wie das Leben hier vor vielen Jahrhunderten geblüht hat, wie die Menschen wohl gelebt haben könnten. 
Aus dieser Tagträumerei reißt mich allerdings ein junger Inder, etwa in meinem Alter, der wie ich mit dem Fahrrad unterwegs ist. Mit "hello friend", begrüßt er mich und mich beschleicht sofort der Verdacht, dass aus meiner Solotour heute nichts mehr wird. 
Er hat eine große, kugelförmige Beule am Arm, ein Krebsgeschwür? Ich möchte mir die Ruinen anschauen, ja, welche als nächstes, keine Ahnung! "Come on, i show you. Let's go together, as friends!"
Ich steige mit gewissen Vorahnungen auf mein Fahrrad und fahre mit ihm mit. Noch bin ich nicht besonders lange in Indien, doch eines ist mir bereits klar geworden: Diese Situation wird damit enden, dass er Geld für irgendwas haben möchte. Entweder, er möchte mir seinen Shop zeigen, oder er ist ein Touristenführer, oder, oder, oder...
Ich nutze seine vermeintliche Freundlichkeit und lasse mir den Weg zu den Haupttempeln zeigen, den ich zugegebenermaßen nicht unbedingt so schnell gefunden hätte. Aber wollte ich ihn denn überhaupt schnell finden? Wollte ich nicht vielmehr ganz gemütlich - und vor allem - alleine auf Besichtigungstour gehen, die Umgebung vor meinem inneren Auge in jene von vor einigen Jahrhunderten verwandeln, eine Art geistige Zeitreise antreten? Angesichts dessen stört mich der Typ schon jetzt gewaltig, und ich unternehme erste Abwimmelversuche. "Money? No money, just as friends!", bestätigt er meine Nachfrage, ob er mir den Tempel wirklich umsonst zeigen möchte. Denn finden würde ich ihn ja auch selbst und vermutlich würde mir das auch mehr abenteuerlichen Spass bereiten.
Wir erreichen den höchsten Tempel, erbaut auf einem kleinen Berg, von dem aus man eine atemberaubende Aussicht hat.


Doch dies in vollen Zügen zu genießen, wird mir verwährt, denn auf den gewaltigen Stufen, die man zum Tempel hinauf erklimmen muss, bei bratender Hitze und trockener Wüstenluft, zieht mein Begleiter eine Karte hervor und überreicht sie mir. Der Schweiß läuft mir in Bächen herunter und ich lese. "This is my job!", sagt er und es bestätigt sich, was ich befürchtet habe. Da steht der Name eines Touristenführerunternehmens und eine Preisliste. Unverschämte Preise, wie ich finde. Das ist was für alte Omas vielleicht, für Leute, die sich nicht alleine zurechtfinden. Ich aber möchte sehr gerne alleine weitergehen, doch ich schaffe es nicht, dem Pseudoführer das klar zu machen. Denn auf einmal versteht er sehr schlecht Englisch. Und ich erfahre, zu meinem leichten Entsetzen, dass bereits die Führung zu diesem Tempel, die wir hinter uns haben, Geld kosten soll. 400 Rupies, immerhin 7 Euro etwa. Dabei habe ich ihm den Ganzen Weg mehr als deutlich gemacht, dass ich alleine gehen möchte, etwa, in dem ich ihn einfach vorlaufen lasse und mit Abstand nachkomme, oder ihm fast irgendwie davonflüchte. Doch er lässt sich einfach nicht abwimmeln.
Oben genieße ich trotzdem die Aussicht und mache Fotos. Ich überlege mir währenddessen, wie ich ihn loswerde. Er klebt wie eine Klette an mir dran.
Ich lasse mich noch von etwas warmer Luft in dieser angenehmen Höhe umwehen, dann trete ich den Abstieg an.
Die Stimmung wird angespannter. Er will Geld von mir haben und ich versuche ihm klar zu machen, dass das völlig unverschämt ist, weil ich ihn nicht als Führer haben möchte. vergebens, Er spricht zwar Englisch, doch selbiges verstehen, tut er scheinbar nicht.
Er stößt mit dem Finger auf meine Brusttasche: "There you have money!" 
Zum ersten Mal mache ich mir Gedanken über die potentielle Gefahr, die dieser Situation beiwohnt: Ich befinde mich mitten in einer wüsten, felsigen Gegend, weit und breit kein Mensch, nur wir beide, die wir uns fast schon ums Geld streiten. Wird er handgreiflich werden? Wie wird das hier ausgehen, denke ich bei mir und schiebe nach dem letzten gescheiterten Erklärungsversuch, dass er kein Geld bekommen wird, einfach mein Fahrrad los und fahre weg. Er fährt natürlich hinterher und schimpft irgendwas. Dann kommen wir an einem Tempel vorbei, wo ein Wachmann steht. Ich bin erleichtert,  fahre auf ihn zu, und rede kurz mit ihm. Mein wütender Führer fährt weiter. Ich bleibe dort eine kurze Weile und breche dann schließlich auf eigene Faust wieder auf. 
Doch es ist nicht wie am Anfang. Ein grauer Schleier der Enttäuschung liegt über meiner Wahrnehmung. Ständig mich umschauend, ob der unangenehme Zeitgenosse nicht nochmal irgendwo lauert (vielleicht mit Freunden, mit denen er mich dann ausraubt), fahre ich umher und beschaue mehr halbherzig die weitläufigen Tempelanlagen.
Sehr schade, dass die Armut die Menschen in diesem Land so aufdringlich handeln lässt. Vielleicht ist es aber auch eine Eigenart der Inder selbst, sie erscheinen mir auch auf der weiteren Reise oft wie falschfreundliche, sehr gewiefte Betrüger. Nicht alle, selbstredend, zumeist die sehr armen, doch finde zumindest ich, dass man nicht lügen und trügen muss, um an Geld zu kommen. Nicht in dem Ausmaß, wie man es in Indien als Tourist sicher zu spüren bekommen wird (siehe die Geschichte mit den Diamantengeschäftsmännern. Dieses Angebot wurde mir während der weiteren Reise übrigens noch mindestens 3 Mal gemacht. Dazu in weiteren Berichten mehr).

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