Donnerstag, 29. September 2011

Indien, Teil 6: Der Schwindel fliegt auf

Ich sitze auf der Couch im Wohnzimmer der Company und muss mich ständig kratzen. Außerdem bin ich auffällig euphorisch. Der Boss vermutet, dass ich wieder einen "drop" genommen habe. Vicky und Ravi stimmen ihm grinsend zu. Ich schweige zu der Vermutung und möchte das Heroin auch nicht erwähnen. Der Boss bittet mich, in seinem Haus keine Drogen zu nehmen. "ok, no problem."
Alle Versuche von Ravi und dem Boss, mir an diesem Abend ein "business" aufzudrängen, scheitern kläglich an meinem Geisteszustand. Ich weiß gar nicht, was sie genau wollen, sage mal ja, mal nein und schließlich stimmen alle überein, dass ich besser schlafen gehen sollte. Ich bin froh über den Rückzugsraum, nehme auf dem Klo noch etwas Heroin und lege mich dann hin. Es folgt ein dämmriger Schlaf, ich wache oft auf und lege nach.
Am nächsten Spätnachmittag erwache ich dann ein weiteres Mal und beschließe, endlich aufzustehen. Ich komme mir sehr verdächtig vor, so lange "geschlafen" zu haben. Von mir aus hätte ich natürlich noch länger liegen bleiben können.
Ein Rest Heroin ist nass geworden und ich schmeisse das Briefchen weg, weil ich auf einmal keine Lust mehr auf Drogen habe. Und noch weniger auf Gefängnis. Dann betrete ich das Wohnzimmer.
Mir fallen viele Dinge wieder ein: Ich bin ja bei den Leuten nur zu Gast, weil sie sich erhoffen, mit mir ein Geschäft machen zu können. Jetzt muss endlich Klarheit in die Angelegenheit gebracht werden! Der Boss redet mit mir ein weiteres Mal über ein paar noch zu erwähnende Kleinigkeiten. Ich versuche mir den Kater nicht anmerken zu lassen und höre eher genervt zu. Ich warte eigentlich nur, bis er fertig geredet hat, um dann zu verkünden, dass ich zurück nach Anjuna gehen werde und an ihrem business nicht interessiert bin.
Der Boss will wissen, wieviel Geld ich eigentlich zum Reisen habe. Ist das wichtig für den Job? Yes, denn angeblich würde in ungefähr 1% der Fälle vom Zoll verlangt werden, mindestens einen Teil des Geldbetrages vorzuweisen, den das Schein-Diamantengeschäft mit der Company kosten würde. Ich habe nicht genug Geld dabei um ein 7000 Euro-Business durchzuführen. Ob ich bei meiner Bank überziehen kann? Nein?! Jetzt werde ich aber richtig stutzig.
Warum genau muss ich einen bestimmten Geldbetrag auf Tasche haben? Ich frage nach, die Erklärung bleibt die gleiche: Wegen der möglichen Nachfrage vom Zoll. Ich denke nach, kann mir daraus aber keinen Reim machen. Für mich wird es immer offensichtlicher: Die wollen mich irgendwie übers Ohr hauen. Ob ich mir von meinen Eltern oder Freunden Geld leihen könne für das business...nein, also an dieser Stelle wird es doch zu bunt. Ich möchte aussteigen. Der Boss wird sichtlich mieser gelaunt. Später fängt er an Whisky zu trinken. Er raucht mir fast alle meine Zigaretten weg ohne zu fragen. Schließlich kommt so etwas wie ein Outing: Also gut, wenn ich den Job nicht machen wolle oder könne, gäbe es noch einen zweiten. Ja, bitte? Ich könne für die Company rekrutieren gehen. Sprich, Leute am Strand ausfindig machen, ihnen von dem Job erzählen und eine Provision von hundert Euro oder mehr kassieren, wenn einer den Job tatsächlich macht. 
Wenn ich also einen Deppen anschleife, denke ich mir, einen armen, naiven hippie auf LSD zum Beispiel, einen mit einem ehrlichen Gesicht.
Vicky, Ravi und der Boss kommen mir auf einmal bedrohlich rein. Die Stimmung ist definitiv angespannter. Äh, ja klar, den Job mache ich, ich kenne da auch zufällig einen anderen Deutschen, einen Freund von mir, der sowieso schon in Anjuna auf mich wartet. Ich packe meine Sachen im Schlafzimmer. Nichts wie weg hier. Ich kann nicht mehr genau einschätzen, wie die drei wirklich drauf sind, ob sie möglicherweise auch einfach mein Geld mit Gewalt klauen würden. Als ich dann schließlich die Wohnung verlasse, muss ich beinahe über den Whiskyberauschten Boss drüber klettern. Vicky und Ravi sind nicht mehr da. Ich gehe, ohne mich zu verabschieden. 
Draussen steht ein Taxi, wie bestellt. Schnell steige ich ein und lasse mich zurück zu meinem gemieteten Zimmer, nach Anjuna fahren. Dort wartet natürlich kein Freund auf mich.

Später habe ich mich im Internet schlau gemacht, was es mit diesen Edelsteingeschäften auf sich hat. Es gibt mittlerweile zahllose Opfer solcher "Geschäfte". Immer nach einer ähnlichen Masche. Man soll Edelsteine ins eigene Land bringen und eine gute Provision bekommen. Wenn man sich gutgläubig darauf einlässt, geht es in verschiedenen Variationen weiter: Entweder gibt es plötzlich "Zollprobleme", man muss angeblich eine Strafe Zahlen und es drohen Haft im Indischen Gefängnis, und lange Gerichtsprozesse. Die "Freunde" können einem in diesem Fall natürlich helfen, aber es kostet viel Geld. Von Leuten als Polizisten verkleidet habe ich gelesen, von gefälschten Briefen vom Gericht... In anderen Fällen wird das Packet tatsächlich zur Post gebracht, doch sie holen es sich mit dem Paketschein später wieder, und kassieren irgendwie von der Kreditkarte ab.
Ich habe den genauen Prozess bis heute nicht durchschaut. Auf jeden Fall aber wird man aufs kaltblütigste reingelegt!

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